Günther Jikeli: Antisemitismus unter Geflüchteten aus Syrien und dem Irak. Befunde einer qualitativen Erhebung

Einleitung und Forschungsstand1

Die fast 1,5 Millionen Menschen, die von Anfang 2014 bis Juli 2017 in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl stellten, sind individuell und nach Herkunft höchst unterschiedlich. Die mit Abstand meisten Anträge stellten in diesem Zeitraum Personen aus Syrien (34 Prozent), Afghanistan (12 Prozent) und dem Irak (10 Prozent).2 Von den syrischen Geflüchteten sind 29 Prozent Kurden und 91,5 Prozent muslimischer Herkunft.3 SyrerInnen stellen heute in Deutschland nach TürkInnen und PolInnen die drittgrößte Bevölkerungsgruppe mit ausländischem Pass.4 Aufgrund der andauernden Kriege und Konflikte, der Zerstörung ganzer Stadtteile und Dörfer in den Herkunftsländern sowie der besseren Lebensperspektiven in Deutschland ist davon auszugehen, dass ein Großteil, vielleicht die Mehrheit der Geflüchteten, auf absehbare Zeit in Deutschland bleiben wird.
Es ist unstrittig, dass antisemitische Vorstellungen in Syrien, Irak und anderen Ländern des Nahen Ostens sowie Nordafrika (MENA) weit verbreitet sind. Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung antisemitischen Statements zustimmt. In vielen dieser Länder geben über 90 Prozent an, eine negative Meinung über Juden zu haben.5
Antiisraelische Einstellungen sind nicht weniger verbreitet, wie öffentliche Aufrufe zur Zerstörung Israels und Mobilisierungen gegen eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel zeigen. Dies und die Tatsache, dass Antisemitismus, einschließlich Holocaustleugnung, von Regierungsvertretern, islamischen Würdenträgern oder regierungstreuen Medien meist unwidersprochen verbreitet wird, lässt auf eine antisemitische Norm in diesen Ländern schließen. […]

Beitrag erschienen in: Nikolaus Hagen, Tobias Neuburger (Hg.): Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft – Theoretische Überlegungen, Empirische Fallbeispiele, Pädagogische Praxis. Innsbruck University Press, 2020.

Kompletter Beitrag (PDF)
  1. Der vorliegende Beitrag ist die berarbeitete und gekürzte Fassung eines Forschungsberichts, der für das American Jewish Committee (AJC) Berlin, Ramer Institute for German-Jewish Relations und die zweite Konferenz des Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus (NEBA) erstellt und durch die großzügige Unterstützung des „Bennett Fund“ und des „Meyer Fund“ ermöglicht wurde. (Günther Jikeli, Einstellungen von Geflüchteten aus Syrien und dem Irak zu Integration, Juden und Shoah. Forschungsbericht Dezember 2017, Berlin 2017,[https://ajcberlin.org/sites/default/files/ajc_studie_gefluechtete_und_antisemitismus_2017.pdf], eingesehen 26.10.2018.)  

  2. Addierte Zahlen aus: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Aktuelle Zahlen zu Asyl (2017), Heft 7; BAMF (Hrsg.), Das Bundesamt in Zahlen 2016. Asyl, Migration und Integration, Nürnberg 2017; BAMF (Hrsg.), Das Bundesamt in Zahlen 2014. Asyl, Migration und Integration, Nürnberg 2015. – Von den Personen, die in diesem Zeitraum einen Antrag stellten, befinden sich jedoch viele aufgrund von Rück- und Weiterwanderungen nicht mehr in Deutschland. (Herbert Brücker u. a., IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse (Forschungsbericht 29), Nürnberg 2016, S. 18–19.)  

  3. Zahlen für Erstantragsteller im Jahr 2016. (BAMF (Hrsg.), Das Bundesamt in Zahlen 2016, S. 24–25.)  

  4. Zahlen für den Stichtag 31.12.2017. (Statistisches Bundesamt, Migration & Integration, o. D., [https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/MigrationIntegration.html], eingesehen 26.10.2018.)  

  5. Eine Mitte 2013 durchgeführte Umfrage ergab, dass 92 Prozent der Befragten im Irak mindestens sechs der elf abgefragten antisemitischen Aussagen zustimmten. 75 Prozent hielten die Aussage für wahrscheinlich wahr, dass Juden für die meisten Kriege in der Welt verantwortlich seien. 84 Prozent meinten, Juden besäßen zu viel Macht in der Geschäftswelt. (Anti-Defamation League, ADL GLOBAL 100, 2014, [http://global100.adl.org], eingesehen 26.10.2018.) In vielen anderen arabischen Ländern sind die Zahlen laut der ADL-Studie ähnlich. In dem Bericht der im Frühjahr 2009 von PEW erhobenen Umfrage heißt es: „In Arab nations, attitudes toward Jews remain extremely negative. More than 90% of Egyptians, Jordanians, Lebanese and Palestinians express unfavorable views toward Jews. Only 35% of Israeli Arabs, however, express a negative opinion.“ (Pew Global Attitudes Project, Little Enthusiasm for Many Muslim Leaders, Washington D.C. 2010, S. 5.)  

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