Politische und zivilgesellschaftliche Reaktionen in der Türkei auf die Annexionspläne Israels

Die türkischen Behörden haben mit scharfer Kritik auf die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit den Annexionsplänen der israelischen Regierung reagiert. Während die Einzelheiten des Plans noch nicht geklärt sind, unterstützte die AKP-geführte Regierung in der Türkei ein außerordentliches Ministertreffen des Exekutivkomitees der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), das bereits am 10. Juni stattfand. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu argumentierte bei dem Treffen, dass der Annexionsplan alle Möglichkeiten für eine Zweistaatenlösung zerstören und Israel zu einem rassistischen Staat machen würde, und forderte eine einheitliche Haltung gegen Israels gegenwärtige Schritte. Er schlug ferner die dringende Notwendigkeit vor, ein OIC-Treffen zu organisieren, an dem Vertreter der UNO, der EU, der Afrikanischen Union sowie Russlands teilnehmen sollten. Das Ziel der Türkei ist es daher, auf eine intensive Zusammenarbeit zwischen der OIC und internationalen Akteuren zu drängen, um Israels Annexionspläne zu verhindern.1 Darüber hinaus ruft die veröffentlichte Resolution der OIC dazu auf, abschreckende Maßnahmen gegen alle Akteure zu ergreifen, die Israel dabei unterstützen, “das Völkerrecht und die UN-Resolution zur Palästina-Frage zu verletzen”. Die Resolution fordert auch politische, rechtliche und wirtschaftliche Maßnahmen und drängt auf ein “Verbot von Unternehmen in der vom UNHRC herausgegebenen Datenbank, die korporative Beziehungen zu den israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten haben”. Schließlich hatten die OIC-Mitgliedsstaaten die Situation der Palästinenser während der Corona-Pandemie diskutiert und sich darauf geeinigt, die finanzielle Unterstützung für die Palästinenser zu verstärken.2 Daraufhin kündigte die türkische Regierung am 25. Juni an, fünf Millionen US-Dollar an die palästinensischen Behörden zu überweisen.3

Mevlut Cavusoglu, Türkischer Außenminister (Foto: Lithuanian MFA, CC BY-NC-SA 2.0)

Wahrscheinlich haben türkische zivilgesellschaftliche Organisationen aufgrund der derzeitigen Corona-Beschränkungen und ihrer Auswirkungen keinen nennenswerten öffentlichen Protest organisiert. Lediglich die der Muslimbruderschaft angeschlossene Jugendorganisation AGD (Anadolu Genclik Dernegi) startete die Hashtag-Kampagne #İlhakaKarşıFilistineSesVer (dt.: Gib Palästina eine Stimme gegen die Annexion), die nur eine begrenzte Reichweite erreicht zu haben scheint. Was jedoch einen Aufruhr in den sozialen Medien auslöste und auch Reaktionen eines breiten Spektrums islamischer NGOs und Politiker auslöste, war die Entfernung eines Schildes mit der türkischen Flagge an der Mauer des Yusufiye-Friedhofs in Ostjerusalem am 25. Juni durch die israelischen Behörden. Das Schild wurde vor zehn Jahren im Rahmen eines Restaurierungsprojekts der türkischen Kooperations- und Koordinierungsagentur (TIKA) angebracht4 Ömer Celik, der AKP-Sprecher, prangerte die Tat als offene Provokation an. TIKA selbst kommentierte die Angelegenheit und bezeichnete den Schritt als “illegalen Akt derjenigen, denen die Bemühungen der Türkei um Frieden und Wohlstand in der Region unangenehm sind”. Die regierungsfreundliche Nachrichtenagentur Anadolu betonte in diesem Zusammenhang, dass israelische rechtsradikale Gruppen vor kurzem eine Kampagne gegen die Präsenz der Türkei in Ostjerusalem und ihre Unterstützung für die Palästinenser gestartet hätten.5

Ansprache von Mevlut Cavusoglu während des OIC Treffens6

„Israel‘s Annexion des Westjordanlandes und die illegalen Siedlungen werden ein Verstoß gegen das Völkerrecht sein. Alle Hoffnungen für einen langfristigen Frieden im Nahen Osten werden dadurch vernichtet. Dieser Umstand bedeutet das Ende für die Zwei-Staaten-Lösung in Richtung der Ein-Staaten-Lösung, die Israel in einen rassistischen Staat verwandeln wird. […] Um einen solchen Ausgang zu verhindern müssen wir eine Zweckseinheit und gemeinsame Haltung zeigen. […] Wenn die Besatzungsmacht (Israel) die rote Linie übertritt, müssen wir (als die Islamischen Staaten) zeigen, dass es Konsequenzen geben wird. Der sogenannte ‚100 Jahre Plan‘ ist Israels Annexionsplan. Dass dieser Plan von Beginn an kein Friedensplan, sondern ein Annexionsplan war, hatten wir hervorgehoben. Die harten Einwände gegen den Plan von Seiten der OIC im letzten Februar sind eine wichtige Warnung. Unsere Stärke kommt von unserer Einheit und solange wir uns gemeinsam bewegen, können wir einen Unterschied bewirken. Heute müssen wir noch einmal unsere Botschaft auf eine offene und klare Art der Welt weitergeben. Wir müssen die internationale Gemeinschaft noch einmal gegen die illegalen Praktiken Israels anführen.“

Als Antwort auf die Unterstützungsforderungen von Mahmud Abbas vom 19. Mai, sagte Cavusoglu weiter „Wir müssen Palästinas vorgeschlagenen Fahrplan sowohl mündlich, als auch mit Handlungen unterstützten. Wenn wir das internationale Bewusstsein für die Situation des palästinensischen Volkes schärfen möchten, müssen wir unsere Bemühungen auch auf die globale Arena tragen.“

„Um Israels Aggression zu verhindern, müssen wir in engen Austausch mit anderen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft stehen.“

„Darüber hinaus sollten wir Palästinas Vorschlag für die internationale Friedenskonferenz unterstützen. Zusammen mit Akteuren wie dem OIC und der EU sollte sie bei der Organisation dieser Konferenz eine aktive Rolle spielen. Letztlich, im Hinblick auf Israels unverantwortliche Haltung der Erklärung der neuen Regierung, scheint es notwendig zu sein, den außerordentlichen OIC-Gipfel unter Beteiligung internationaler Akteure, wie den Vereinten Nationen, der EU, der Afrikanischen Union und Russlands zu organisieren (…).“

Übersetzt aus dem Englischen. Autorin: Yasemin Altintop.


  1. CNN Turk. 2020. Son dakika: Bakan Cavusoglu’ndan Israil’in ilhak planina tepki. (Enthält Cavusoglus Rede beim OIC-Treffen in türkischer Sprache), https://www.cnnturk.com/dunya/son-dakika-bakan-cavusoglundan-israilin-ilhak-planina-tepki, letzter Zugriff am 29. Juni 2020. 

  2. OIC. 2020. Resolution, angenommen von Open-Ended Virtual Extraordinary Meeting of the OIC Executive Committee at the Level of Foreign Ministers on the Threats of the Israeli Occupation Government to Annex Parts of State of Palestine’s territory Occupied in 1967. https://www.oic-oci.org/topic/?t_id=23484&t_ref=14035&lan=en, letzter Zugriff am 29. Juni 2020. 

  3. Haberler. 2020. Türkiye, koronavirüse karsi Filistin’e 5 milyon dolar hibe edecek. https://www.haberler.com/turkiye-koronaviruse-karsi-filistin-e-5-milyon-13362749-haberi/, letzter Zugriff am 29. Juni 2020. 

  4. Asmar, Ahmend. 2020. Israeli claims about Turkish cemetery plaque disproved. https://www.aa.com.tr/en/middle-east/israeli-claims-about-turkish-cemetery-plaque-disproved/1889894, letzter Zugriff am 29. Juni 2020. 

  5. CNN Turk. 2020. Ak Parti Sözcüsü Ömer Celik’ten Israil’e tepki. https://www.cnnturk.com/turkiye/ak-parti-sozcusu-omer-celikten-israile-tepki, letzter Zugriff am 29. Juni 2020. 

  6. Eigene Übersetzung. Quelle: https://www.cnnturk.com/dunya/son-dakika-bakan-cavusoglundan-israilin-ilhak-planina-tepki 

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